(Übrigens: die Studie und Peter Martin Thomas kommen nach Weinheim. Termin 26.10.2016  vormerken)

Jugendforscher beurteilt den Nachwuchs als unideologisch und desillusioniert

Junge Erwachsene rebellieren heute nicht mehr – Sie sind bodenständig und sehnen sich nach Harmonie – Warum das so ist, erklärt Jugendforscher Peter Martin Thomas

Von Anica Edinger

Sie sind politikverdrossen, abenteuerlustig, provozieren gerne – und sie wollen sich niemals festlegen. Ist das die Jugend von heute? Die Antwort heißt eindeutig: nein. Wenigstens, wenn man nach der neuesten Sinus-Jugendstudie geht. Aller vier Jahre untersuchen dabei Wissenschaftler, wie die heutige Jugend so tickt. Peter Martin Thomas (Foto: privat) ist Leiter der Sinus-Akademie und Co-Autor der Studie 2016. Der Diplom-Pädagoge erklärt im Gespräch, wonach Jugendliche heute streben – und wieso das ganz anders ist als früher.

„Die Jugendlichen sind unideologisch und ein wenig desillusioniert“

Herr Thomas, „Triebe und Antriebe“ heißt das diesjährige Motto beim „Heidelberger Symposium“. Was ist es denn, das die Jugendlichen antreibt, morgens aufzustehen und zur Schule zu gehen?

Ganz allgemein gesagt, ist es der Wunsch nach einem guten Leben. Sie wollen Sicherheit, eine harmonische Beziehung und eine Arbeit, die ihnen Spaß macht und von der sie gut leben können.

Welche Rolle spielt Geld dabei?

Natürlich geht jeder arbeiten, um einmal Geld zu verdienen. Aber es ist nicht das Wichtigste. Relevanter ist für die Jugendlichen, eine sinnvolle Tätigkeit auszuüben mit netten Kollegen. Es geht ihnen darum, etwas zu machen, was sie gut können.

Klingt bodenständig: Will denn keiner mehr die Welt erobern?

Sagen wir so: Es wollen bestimmt nicht alle Superstars oder Germany’s Next Topmodel werden oder die Welt verändern.

Wieso eigentlich nicht?

In unserer Studie zeigte sich, dass das Wort „Mainstream“ kein Schimpfwort mehr ist. Früher war es peinlich zu sagen, man will einfach ein normales Leben führen. Die Gründe für diese Wandlung sind unterschiedlich. Natürlich ist es zum einen leichter, im Mainstream zu leben. Zum anderen wurden die Jugendlichen von heute viel toleranter erzogen. Wenn man zu meinen Zeiten etwa mit einem Tattoo in die Schule kam, war das noch aufregend. Heute können Sie damit niemanden mehr vom Hocker reißen.

Es gibt also keine rebellische Jugend mehr?

Die Frage ist ja: Gegen was soll ich rebellieren? Die Jugendlichen finden kaum einen Ansatzpunkt.

Es gäbe doch aber viele Punkte, die Grund für Rebellion bieten würden: Kriege, Rassismus, Islamophobie, Sexismus.

Das stimmt. Aber das liegt nicht im direkten Umfeld der Jugendlichen. Das heißt aber nicht, dass die Jugendlichen diese Themen nicht sehen. Sie wissen, dass es etwa Kinderarbeit und Ungerechtigkeit gibt. Sie glauben aber nicht mehr an die große Lösung, sondern suchen nach pragmatischen Wegen. Man könnte auch sagen: Die Jugendlichen sind unideologisch und ein wenig desillusioniert.

Woran liegt das?

Ganz einfach daran, dass sie eine unsichere Welt erleben: eine große Weltwirtschaftskrise, Terror mitten in Europa, die Flüchtlingsbewegungen. In meiner Jugend lebten wir noch in der längsten Friedensperiode in Europa.

Was unterscheidet die Jugendlichen denn sonst von der Generation ihrer Eltern oder vorheriger Generationen, als die im jugendlichen Alter waren?

Immer weniger. Es gibt jetzt schon eine Elterngeneration, die auch digital aufgewachsen ist. Ein großer Unterschied ist aber im Vergleich zu damals: Die Welt ist unsicherer geworden. Ich bin noch mit dem Versprechen aufgewachsen: Wenn du dich nur anstrengst, ein gutes Abitur und eine ordentliche Ausbildung oder ein Studium machst, wird alles gut. Das kann man den Jugendlichen heute nicht mehr erzählen.

Welche Folgen hat das?

Jugendliche haben einen starken Gegenwartsbezug. Sie leben im Hier und Jetzt und wollen jetzt ihren Spaß haben. Und auf der anderen Seite streben sie in einer Welt, die ihnen unsicher erscheint, nach Geborgenheit und Liebe.

Oft ist auch die Rede von einer „Generation Porno“. Welche Rolle spielt denn der sexuelle Trieb bei den Jugendlichen in Ihrer Studie?

Im Gespräch mit uns wurde stets die harmonische Seite von Beziehungen betont. Die Jugendlichen wollen jemanden finden, dem sie vertrauen und dem sie sich zugehörig fühlen. Sexualität spielt wieder erst später eine Rolle. Aktuell ist der Trend, dass sich die Jugendlichen gut überlegen, mit wem sie Sex haben. Andererseits nimmt dadurch die Erwartungshaltung zu, dass das erste Mal ganz toll werden muss. Das können überhöhte Erwartungen sein.

Wer sind eigentlich „die Jugendlichen“?

Die Jugend gibt es nicht. In unserer Studie haben wir ein wissenschaftliches Sample aus 72 Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren zusammengestellt. Wir haben darauf geachtet, einen guten Querschnitt zu bekommen: Jugendliche von der Stadt und vom Land, mit und ohne Migrationshintergrund, mit höherem, mittlerem und niedrigem Bildungsabschluss. Für die Rekrutierung waren spezielle Büros zuständig.

Und dann durften die Jugendlichen einfach mal erzählen?

Wir haben sie zu Hause zum Interview besucht. Das gibt schon viel Aufschluss über die Jugendlichen: Wie leben sie, welche Poster hängen im Zimmer, stehen dort Bücher oder Sportutensilien? Die Interviewer haben einen Leitfaden mit Fragen und Themenkomplexen. Aber es ist natürlich gut, wenn die Jugendlichen in einen Erzählfluss kommen. Dann können sie die Themen ein Stück weit selbst bestimmen.

Quelle: Jugendforscher beurteilt den Nachwuchs als unideologisch und desillusioniert